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Buchtitel:
„Sieben Tage einer Ehe“ von Mary Beth Keane.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Heike Reissig.
Erschienen am 29.02.2024 bei Eisele.
Originaltitel: „The Half Moon“, erschienen 2023 bei Scribner
Worum geht’s?
Malcolm und Jess sind schon seit dem College ein Paar – als ambitionierte Anwältin und charmanter Barkeeper leben die beiden in ihrer Heimatstadt Gillam, bereit, eine Familie zu gründen. Doch als sie auch nach vielen Jahren noch immer kein Kind erwarten, beginnt Malcolm, sich anderen Dingen zu widmen: Mit seiner eigenen Bar verwirklicht er seinen Lebenstraum, während Jess sich zu fragen beginnt, ob sie wirklich das Leben lebt, das sie sich wünscht. Als ein schwerer Schneesturm Gillam erschüttert, wird die darauf folgende Isolation zum Brennglas für die verdrängten Probleme der fragilen Ehe: Was passiert, wenn ein Paar unterschiedliche Träume hat? Wer gibt wem Halt, wenn diese Träume platzen? Was heißt es wirklich, sich füreinander entschieden zu haben? Und sieht die wahre Bedeutung von Familie vielleicht ganz anders aus als gedacht?
Der neue Roman der Autorin des Bestsellers „Wenn du mich heute wieder fragen würdest“.
Pressestimmen:
„Von der ersten bis zur letzten Seite ein beeindruckend stimmiges Buch, das mich tief berührt hat.“ Süddeutsche Zeitung, Helen Hoff
„Keane ist eine hervorragende Beobachterin zwischenmenschlicher Vorgänge.“ Hamburger Abendblatt, Thomas Andre
„Mary Beth Keane schafft es, aus den beiden Perspektiven die Geschichte zu erzählen, ohne dass sie einem der zwei Schuld zuweist. Eindringlich, lebensnah.“ Presse am Sonntag
„Ergreifender Roman über langjährige Beziehungen und Familie“ (Für Sie)
Leseprobe
Malcolm Gephardt konnte schon von weitem erkennen, dass in der Bar viel los war, selbst durch die schmutzige Windschutzscheibe seines Hondas. Es war ein nasskalter Abend, die Bürgersteige im Stadtzentrum waren seit Tagen mit schmutzigem Schnee übersät, der nicht schmelzen wollte. Die meisten Läden hatten die Wetterwarnung ernst genommen und wegen des aufziehenden Sturms geschlossen, aber als Malcolm sich der Ampel näherte und seinen eigenen Laden in dem braun geschindelten Gebäude am Fuße des Hügels erblickte, wurde ihm warm ums Herz.
„Schau sich das einer an“, sagte er zu seinem leeren Wagen. An diesem Abend wirkte der Laden anders als sonst, er strahlte eine mitreißende Energie aus; jenes einzigartige glückselige Chaos, das es nur in einer überfüllten Bar gab, wo gute Musik lief, Freunde einander in die Arme fielen und sich überall Behaglichkeit breitmachte, egal wie eiskalt es draußen war. Er versuchte, die Bar mit den Augen eines Fremden zu sehen. Seine Bar. Wirkte sie einladend? Bildete er sich das bloß ein oder brachte das Licht, das auf die Straße fiel, die gesamte Fassade zum Leuchten? Ja, entschied er, als er geschmeidig auf seinen Parkplatz scherte, und zum ersten Mal seit Wochen wallten Hoffnung und Vertrauen in ihm auf: in sich selbst, seine Stadt, diese Menschen, das Leben, das Schicksal und die eigene innere Stimme. Es ist eine gute Stadt, eine gute Bar, es geht mir prima, sagte er sich im Stillen, wie ein Gebet. Half Moon, Halbmond, stand auf dem alten Holzschild über der Tür. Verziert war es allerdings mit einem geschnitzten Viertelmond (ein Fehler, auf den die Leute gern hinwiesen), der im Laufe der Jahre schwarz und schimmlig geworden war; Malcolm hatte ihn, als der Deal durch war, gleich am nächsten Tag geschrubbt und strahlend weiß überstrichen.
Heute Abend standen zwei Frauen draußen und rauchten; eine dritte leistete ihnen bibbernd Gesellschaft. Ein positives Zeichen. Allerdings bedeutete es, dass er nun nicht zum Hintereingang gehen konnte, weil sie ihn bereits entdeckt hatten und ihm zunickten. Also blieb ihm nichts anderes übrig, als auf sie zuzugehen und das Übliche zu sagen: Na wie geht’s, alles klar bei euch, gut seht ihr aus, es soll noch mehr Schnee geben, was für ein Winter, übers Wochenende kommt hier wohl keiner weg, hoffentlich gibt’s keinen Stromausfall, was täten wir ohne Fernseher, ha ha ha. Er musste den Frauen zur Begrüßung die Wange küssen, und wenn sie ihn mit besorgter Miene fragten, ob es ihm gut ging, musste er fröhlich tun, als hätte er keine Ahnung, worauf sie anspielten, und wenn sie ihn kurz darauf abermals fragten, musste er sich mit dem Verstellen noch etwas mehr Mühe geben.
All das fiel ihm wesentlich schwerer ohne einen breiten Tresen vor sich, der die Leute auf Abstand hielt. Jedenfalls fiel es ihm schwerer als früher. Aber warum? Wahrscheinlich, weil er geglaubt hatte, sich selbst zu kennen. Weil er geglaubt hatte, Jess zu kennen. Er klammerte sich an das gute Gefühl von vorhin. Mach weiter, befahl er sich, du stehst den Abend schon irgendwie durch, denk einfach nicht an den nächsten. Neuerdings kam er öfter auf Ideen. Als er in der Woche zuvor auf der Wappinger an der Ampel stand, der Sonnenuntergang ein lila Bluterguss über dem Tallman Mountain, der breite Hudson dahinter verborgen, dachte er: Ich könnte doch weiterfahren. Ich könnte nach rechts abbiegen, Richtung Mexiko. Oder nach links, Richtung Kanada. Ich bräuchte nur regelmäßig zu tanken. Er sah gut aus, war charmant, man mochte ihn auf Anhieb. Eine Tatsache, die ihm schon sein Leben lang bewusst war und ihm sicher helfen würde, wenn er in irgendeinem Dorf in Quebec auftauchen und nach Arbeit suchen würde. Er überlegte, wie viel Geld im Safe lag und wie viel Spielraum noch auf den Kreditkarten blieb. Er dachte an sein Haus und überlegte, an welchen Gegenständen sein Herz hing, aber was davon war ihm wirklich wichtig? Die Kaffeekanne? Der Ledersessel? Dann wurde die Ampel grün, der Gedanke verflog wieder, und als er an der Bar ankam, hatte er das seltsame Gefühl, als läge ihm etwas Wichtiges auf der Zunge, das ihm partout nicht einfallen wollte.
Während er sich draußen mit den Leuten unterhielt, gestattete er sich die Hoffnung, dass vielleicht zwanzig Gäste drinnen waren. Zwanzig wären ein anständiger Abend, dann konnte er zufrieden sein, es wäre vermessen, sich gleich vierzig zu wünschen . Durchs Fenster schauen wollte er lieber nicht, das brachte nur Pech. Dreißig, wenn’s hochkam. Gut möglich, dass es dreißig waren. Ein Schneesturm zog auf, das Gallagher’s und das Parlor hatten gar nicht erst aufgemacht. Das Primavera nebenan ließ nach neunzehn Uhr keine Gäste mehr herein. Bei Tia Anna’s oder dem neuen Thai-Laden wusste er es nicht genau. Wenn es unvermeidlich war, würde er schließen, aber bis dahin würde er Bier zapfen.
„Er ist da“, hörte er Roddy beim Hereinkommen sagen, und sein Optimismus geriet kurz ins Wanken. Wie immer wehte ein Hauch von Hektik in Roddys Stimme mit, eine Klangfarbe, die Malcolm über den Gesprächslärm hinweg erreichte wie ein Zupfen am Ärmel. Vierzig Gäste . Mindestens. Sein Freund Patrick war da. Siobhán auch, sie wippte sogar mit der Hüfte im Takt zur Musik, die aus der Jukebox kam. Seit Jess gegangen war, riefen seine Freunde ihn viel öfter an und schauten bei ihm vorbei, und ihre Fröhlichkeit rührte ihn, auch wenn sie nur aufgesetzt war; als er letzten Samstag wachwurde, weil Patrick und Toby in seiner Küche lärmend nach Kaffeefiltern suchten, bekam er sogar einen dicken Kloß im Hals. Schon seit fast vierzig Jahren machten Patrick und er sich regelmäßig über Toby lustig , aber da stand er, ihr gemeinsamer Kumpel, schnupperte an der Kaffeesahne, die er in Malcolms Kühlschrank gefunden hatte, und checkte das Verfallsdatum. Ob sie wohl auch mit Jess telefonierten? Siobhán bestimmt. Ein paar andere sicher ebenfalls . Doch niemand sprach das Thema direkt an. Wenn sie sich für eine Seite entscheiden mussten, ließen sie ihn durch kleine Zeichen wissen, auf welcher sie standen.