Buchtitel:
„Only Margo“ von Rufi Thorpe.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Heike Reissig.
Erschienen am 28.01.2025 bei Ecco.
Originaltitel: „Margo’s Got Money Troubles“, erscheint bei Harper Collins Publishers.
Worum geht’s?
Margo braucht Geld. Seit sie ungewollt von ihrem Collegeprofessor schwanger wurde, der sie jetzt mit dem Kind alleinlässt, mehr denn je. Wie Margo es auch dreht und wendet, kein Job scheint passend zu sein oder könnte auch nur ansatzweise ihr Leben mit einem Baby finanzieren. Durch einen Zufall wird sie auf die Plattform OnlyFans aufmerksam, und Margo ist fasziniert von dieser Welt, in der Frauen mit sich und ihrem Körper experimentieren und offenbar gut dabei verdienen. Also beginnt auch sie, Inhalte zu produzieren. Dabei erhält sie Unterstützung von ihrer Mitbewohnerin Suzie, einem großen Cosplay-Fan, und auch von ihrem Vater Jinx, einem Ex-Wrestlingprofi. Ehe sie es sichs versieht, ist Margo ein Onlinephänomen. Könnte dies die Antwort auf ihre Probleme sein, oder hat der Internetruhm einen zu hohen Preis?
Stimmen:
„Kämpfen, Scheitern, Weitermachen (…) Drogenmissbrauch, Mutterschaft, Armut – das sind keine leichten Stoffe, aber Thorpe setzt darauf, dass das Leben selbst voller absurder Momente ist, auch in der Misere. Sie findet diese feinen Brüche in der Realität, wo das Absurde und das Tragische sich berühren – und genau dort bringt sie die Lesenden zum Lachen. Only Margo überzeugt mit einer seltenen Mischung aus Härte und Leichtigkeit. Ein kluger Blick auf die US-Gesellschaft, die oft wegschaut.“ – Deutschlandfunk Kultur (Beitrag als PDF)
Rufi Thorpe hat eine aberwitzige Geschichte über Mutterschaft im Zeitalter des digitalen Irrsinns verfasst, hochgradig komisch und doch intelligent – man fiebert mit Margo mit, dass sie alle Hindernisse überwindet.“ – Die Presse
„OnlyFans trifft Wrestling: Wie US-Autorin Rufi Thorpe Sexarbeit und Mutterschaft beleuchtet (…) ein unterhaltsamer, temporeicher und liebenswerter Roman über die Herausforderungen im Leben einer jungen Frau.“ – Kurier
„Über die Gemeinsamkeiten von Wrestling und Sexarbeit, die Herausforderungen für alleinerziehende Mütter und über Monster, die Weicheier sind (…) Only Margo ist ein feministischer Roman, in dem es um männlichen Machtmissbrauch geht, die Entwertung von Frauen, die ihren Körper zeigen, die Einsamkeit von alleinerziehenden Müttern. Er ist aber auch sehr lustig und unterhaltsam.“ – Radio Eins, Die Literaturagenten
„[An] enormously entertaining and lovable book.“ — Nick Hornby, New York Times Book Reviews
„The feel-good novel we need right now.“ — Karin Tanabe, The Washington Post
“Deeply funny, thoughtful, riveting.” — Emily Gould, Vulture
“In turns funny and moving, daring and satisfying, but above else, relentlessly charming—that rare book about storytelling that also tells a good story.“ — Emily Temple, Literary Hub
“Exuberant . . . Terrific characters, rich worldbuilding, deep thoughts about fiction and morality, a love story, and a happy ending.” — Kirkus Reviews (starred review)
“Tender and offbeat. . . Thorpe infuses the portrayal of Margo and Jinx’s relationship with sweetness, and she makes Margo a character to root for as the young mother learns how to support herself with help from her unconventional family. Once this gets its hooks into the reader, it doesn’t let go.” — Publishers Weekly
Leseprobe
Du fängst an, ein neues Buch zu lesen, und hast ein wenig Herzklopfen. Der Beginn eines Romans ist wie ein erstes Date. Du denkst: Hoffentlich ziehen die Zeilen mich sofort in ihren Bann und ich versinke in der Geschichte wie in einem wohligen Bad, das mich alles andere vergessen lässt. Deine Hoffnung wird allerdings durch die Erkenntnis getrübt, dass du dir wahrscheinlich zig Namen von Leuten merken und die ganze Zeit aufmerksam bleiben musst, als wärst du beispielsweise auf der Babyparty einer Frau, die du kaum kennst. Das geht in Ordnung, schließlich hast du dich schon öfter in Bücher verliebt, die dich nicht gleich im ersten Absatz gepackt haben. Und trotzdem sehnst du dich danach, dass sie es tun, sehnst dich danach, dass sie im Dunkel deiner Gedanken plötzlich neben dir auftauchen und dich auf den Hals küssen.
MARGOS BABYPARTY WURDE von Tessa organisiert, der Inhaberin des Restaurants, in dem Margo arbeitete. Tessa fand es lustig, dass die Torte wie ein riesiger Schwanz aussah, vielleicht, weil Margo ledig und mit gerade mal neunzehn von ihrem Professor geschwängert worden war. Tessa konnte sehr gut backen. Sie stellte alle Desserts des Restaurants selbst her, und bei der Penistorte hatte sie sich selbst übertroffen mit einem handgeschnitzten 3-D-Phallus aus zwölf Biskuitschichten, eingehüllt in mattrosa Zuckerguss. Sogar eine Handpumpe war mit im Spiel, und nachdem alle „Denn sie kriegt ein riesiges Baby“ zur Melodie von „For He’s a Jolly Good Fellow“ gesungen hatten und Margo die Kerzen ausgepustet hatte – wieso eigentlich? es war ja schließlich nicht ihr Geburtstag -, drückte Tessa kräftig auf die Pumpe, und weißer Pudding spritzte oben heraus und lief an den Seiten herunter. Tessa johlte begeistert. Margo tat so, als lachte sie mit, aber später weinte sie auf dem Klo.
Margo wusste, dass Tessa die Torte ihr zuliebe gebacken hatte. Tessa war liebevoll, aber auch gemein. Als Tessa herausfand, dass der Hilfskoch nichts mehr riechen und schmecken konnte, weil er als Jugendlicher fast totgeprügelt worden war, servierte sie ihm einen Teller Rasiercreme mit Blumenerde und erzählte ihm, das sei ein neuer Nachtisch. Erst als er zwei große Bissen genommen hatte, sagte sie ihm, er solle aufhören.
Margo wusste, dass Tessa nur versuchte, etwas Leichtigkeit in eine deprimierende Situation zu bringen. Es war sozusagen ihre Spezialität, Tragödien in Slapstick zu verwandeln. Doch es schien ungerecht, dass die einzige Liebe, die Margo zu spüren bekam, so unzulänglich und schmerzlich war.
Ihre Mutter, Shyanne, hatte ihr gesagt, sie solle abtreiben. Ihr Professor hatte sie regelrecht dazu gedrängt, abzutreiben. Tatsächlich war Margo unschlüssig gewesen, ob sie das Baby vor allem deshalb behalten wollte, um den beiden zu zeigen, dass sie sich von ihnen nichts vorschreiben ließ. Der Gedanke, dass sie deswegen auf Distanz zu ihr gehen könnten, war ihr gar nicht gekommen. Oder dass sie sogar komplett in der Versenkung verschwinden könnten, wie der Professor.
Shyanne hatte Margos Entscheidung zwar nach einer Weile akzeptiert und versuchte sogar, ihr beizustehen, doch ihre Unterstützung war selten hilfreich. Als bei Margo die Wehen einsetzten, tauchte Shyanne erst vier Stunden später im Krankenhaus auf, weil sie auf der Suche nach einem guten Teddybär die ganze Stadt abgeklappert hatte. „Du wirst es nicht glauben, Margo, aber am Ende bin ich doch wieder zu Bloomingdale’s, weil die den besten hatten!“ Shyanne arbeitete schon fast fünfzehn Jahre bei Bloomingdale’s. Der Anblick ihrer schwarz schimmernden Strumpfhosenbeine zählte zu Margos frühesten Erinnerungen. Shyanne streckte ihr den Teddy entgegen, er war weiß mit leicht zerknautschtem Gesicht, und sagte mit quiekender Stimme: „Press das Baby raus, ich will endlich meinem Kumpel Hallo sagen!“ Shyanne trug so viel Parfüm, dass Margo fast froh war, als sie sich in die Ecke setzte und anfing, auf ihrem Handy Poker zu spielen. PokerStars. Das war ihre Lieblingsbeschäftigung. Den ganzen Abend lang Kaugummikauen und Poker spielen, und all die Loser fertigmachen. So nannte Shyanne die anderen Spielenden immer: „Loser.“
Eine der Krankenschwestern war gemein und zog über den Namen her, den Margo sich ausgesucht hatte. Margo wollte das Baby Bodhi nennen, wie Bodhisattva. Shyanne fand das zwar blöd, aber sie verpasste der Krankenschwester trotzdem eine schallende Ohrfeige und sorgte damit für großen Wirbel. Zugleich war dies der Moment, in dem Margo sich von ihrer Mutter am meisten geliebt fühlte, und sie sollte sich diese Ohrfeige und die verblüffte Miene der Krankenschwester noch viele Jahre in Erinnerung rufen.
Aber das war nach der Periduralanästhesie und einer langen Nacht, in der sie durstig wie ein tollwütiger Hund nach Eiswürfeln jaulte und einen gelben Schwamm bekam, an dem sie saugen sollte, weil Schwämme bekanntlich gute Durstlöscher sind. „Was zur Hölle ist das denn“, sagte Margo mit dem Schwamm im Mund, er schmeckte nach Zitrone. Das war, nachdem sie pausenlos gepresst und schließlich auf den Tisch gekackt hatte, woraufhin ihr Geburtshelfer das Zeug mit angewiderter Miene wegwischte, und sie ihn anschrie: „Ach kommen Sie, das haben Sie doch alles schon gesehen!“ Da lachte er: „Stimmt, Mama, und jetzt noch einmal kräftig pressen!“ Und dann der magische Moment, als man ihr Bodhis glitschigen roten Körper auf die Brust legte, die Handtücher um ihn gedrückt, seine Augen waren fest zugekniffen. Sie machte sich sofort Sorgen, weil er so mickrig war. Vor allem seine Beine wirkten unterentwickelt, wie bei einer Kaulquappe. Er wog nur zweitausendsiebenhundert Gramm, trotz des Liedes, das sie auf der Babyparty für sie gesungen hatten. Und sie liebte ihn. Sie liebte ihn so sehr, dass ihr schwindelig wurde.
ERST ALS MARGO aus dem Krankenhaus entlassen wurde, bekam sie Panik. Shyanne hatte schon eine Schicht sausen lassen, um zur Geburt zu kommen, sie konnte auf keinen Fall einen weiteren Tag freinehmen, um Margo nach Hause zu bringen. Seit Shyanne der Krankenschwester eine geknallt hatte, durfte sie die Klinik allerdings ohnehin nicht mehr betreten. Margo versicherte ihrer Mom natürlich, dass sie zurechtkommen würde. Doch als sie vom Parkplatz fuhr, das Geschrei ihres Babys im Ohr, das in der harten Kunststoffschale des Kindersitzes lag, kam Margo sich wie eine Bankräuberin vor. Seine Schreie klangen so verschleimt und schwach, dass ihr Herz zu rasen begann und sie die gesamte Fahrt nach Hause hindurch zitterte, fünfundvierzig Minuten lang.