Was ist eine gute Übersetzung?

Übersetzen bedeutet, einen ausgangssprachlichen Text möglichst originalgetreu in die jeweilige Zielsprache zu übertragen – und zwar so, dass die Zielleserschaft die Übersetzung auch versteht. Dieser „doppelte Anspruch“ war und ist das Kernproblem beim Übersetzen. Schon Luther philosophierte über die besonderen Herausforderungen dieser Tätigkeit, und er war sicher nicht der Erste:

„Wirklich übersetzen heißt: etwas, das in einer andern Sprache gesprochen ist, seiner Sprache anpassen.“
(Martin Luther, Tischreden, 1566)

Bei Texten mit schlichter Satzstruktur und einfacher Bedeutungsebene ist eine wortwörtliche Übersetzung möglich. Solche Sätze kann auch eine Übersetzungssoftware fehlerfrei meistern. Wenn man den Satz „Der Himmel ist blau“ mit Google Translate ins Englische oder Französische übersetzt, ist das Resultat zufriedenstellend. Doch mit zunehmender syntaktischer und semantischer Komplexität gerät der Übersetzungsautomat an seine Grenzen. Als Beispiel mag ein Zitat von Goethe dienen:

„Übersetzer sind als geschäftige Kuppler anzusehen, die uns eine halb verschleierte Schöne als höchst liebenswürdig anpreisen: Sie erregen eine unwiderstehliche Neigung nach dem Original.“
(Johann Wolfgang von Goethe, Maximen und Reflexionen, 1826)

Google Translate überträgt dies folgendermaßen ins Englische:

„Translators are to be seen as busy couplers who praise us as half-fairy beauty as most gracious: they excite an irresistible inclination for the original.“

Wie gut, dass wir auf die kongeniale Übersetzung des Goethe-Zitats von Bailey Saunders aus dem Jahre 1906 zurückgreifen können:

„Translators can be considered as busy matchmakers who praise as extremely desirable a half-veiled beauty. They arouse an irresistible yearning for the original.“

Kaum zu glauben, dass Saunders seine Übersetzung damals ganz ohne Computer hingekriegt hat! Aber vielleicht ist Google Translate ja in der Lage, das Saunders-Zitat elegant ins Deutsche zu übertragen. Mal schauen … hier das Ergebnis:

„Übersetzer können als vielbeschäftigte Heiratsvermittler gelten, die eine halb verhüllte Schönheit als äußerst wünschenswert preisen. Sie wecken eine unwiderstehliche Sehnsucht nach dem Original.“

Grammatikalisch ist diese Lösung tipptopp, aber sie klingt trotzdem seltsam, oder? Auch die Übersetzung von weniger schöngeistigen Texten ist eine Kunst für sich; man denke nur an Werbetexte für Autos, Parfüms oder medizinische Geräte, an Pressemitteilungen und andere Formen der Unternehmenskommunikation. Übersetzen ist eben kein simples Handwerk, sondern eine anspruchsvolle kreative Tätigkeit. Nicht umsonst wird Übersetzen im Rahmen mehrjähriger Studiengängen an Hochschulen gelehrt. Diplome von anerkannten Institutionen stehen für Qualität und Professionalität, um so mehr, als die bloße Berufsbezeichnung „Übersetzer“ in vielen Ländern nicht geschützt ist.

Manche Sprachdienstleister teilen Übersetzungen in zwei Kategorien ein. In die erste stecken sie die sogenannte „einfache Übersetzung„, gern auch „Wort-für-Wort-Übersetzung“ genannt. Der zweiten ordnen sie die sogenannte „Kreativübersetzung“ zu, für die es noch diverse andere Bezeichnungen gibt, etwa Adaption, Lokalisierung, Transkreation (neudeutsch: Transcreation), Werbetext-Übersetzung, International Copywriting oder Creative Copy. Vor allem in der Werbebranche wird unter diesen Begriffen die Übersetzung eines Textes in eine andere Sprache unter Berücksichtigung der kulturellen und sprachlichen Bedingungen des Zielpublikums verstanden. Doch genau das zeichnet seit jeher das Wesen der qualitativ hochwertigen Übersetzung aus – sie war noch nie darauf beschränkt, wortwörtlich zu sein.

Manchmal wird Übersetzern vorgeworfen, dass sie zu sehr am Wort kleben, in anderen Fällen wird beklagt, dass sie zu frei übersetzen. Übersetzer sehen sich immer wieder aufs Neue mit der Herausforderung konfrontiert, dem eingangs erwähnten „doppelten Anspruch“ gerecht zu werden. Nicht nur ist jeder Text anders, auch die Zielleserschaft unterscheidet sich von Projekt zu Projekt – ebenso wie die individuellen Erwartungen der Auftraggeber, die von ihnen vorab übermittelten Informationen (Briefing des Übersetzers) und die gewünschten Liefertermine. Und auch der Zeitdruck hat natürlich einen entscheidenden Einfluss auf die Qualität einer Übersetzung. Ein guter Übersetzer wird immer danach streben, das beste Ergebnis zu liefern, das unter Berücksichtigung aller Rahmenbedingungen möglich ist.

Und last but not least sind die Gedanken von Luther, Lichtenberg, Goethe & Co. eigentlich noch heute aktuell, wenn es um die Ausgangsfrage geht: Was ist eine gute Übersetzung?

„[…] man muss die Mutter im Hause, die Kinder auf der Gassen, den gemeinen Mann auf dem Markt drum fragen und denselbigen auf das Maul sehen, wie sie reden, und darnach dolmetschen; da verstehen sie es denn und merken, daß man deutsch mit ihnen redet.“
(Martin Luther, Sendbrief vom Dolmetschen, 1530)

„Ist es nicht sonderbar, dass eine wörtliche Übersetzung fast immer eine schlechte ist? Und doch lässt sich alles gut übersetzen. Man sieht hieraus, wie viel es sagen will, eine Sprache ganz verstehen; es heißt, das Volk ganz kennen, das sie spricht.“
(Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbücher, 1800-1806)

„Beim Übersetzen muss man bis ans Unübersetzliche herangehen; alsdann wird man aber erst die fremde Nation und die fremde Sprache gewahr.“
(Johann Wolfgang von Goethe, Maximen und Reflexionen, 1826)

„Aber wie viel leichter ist es, eine Schnurre zu übersetzen, als eine Empfindung! Das Lächerliche kann der Witzige und Unwitzige nachsagen; aber die Sprache des Herzens kann nur das Herz treffen. Sie hat ihre eigene Regeln; und es ist ganz um sie geschehen, sobald man diese verkennt, und sie dafür den Regeln der Grammatik unterwerfen, und ihr alle die kalte Vollständigkeit, alle die langweilige Deutlichkeit geben will, die wir an einem logischen Satze verlangen.“
(Gotthold Ephraim Lessing, Hamburgische Dramaturgie, 1767/69)

„Die Treue eines Übersetzers wird zur Untreue, wann er seine Urschrift dadurch verdunkelt.“
(Gotthold Ephraim Lessing, Rettungen des Horaz, 1754)

„Der Übersetzung Kunst, die höchste, dahin geht,
Zu übersetzen recht, was man nicht recht versteht.“

(Friedrich Rückert, Die Weisheit des Brahmanen, 1836)

„Und so ist jeder Übersetzer anzusehen, dass er sich als Vermittler dieses allgemein-geistigen Handels bemüht und den Wechseltausch zu befördern sich zum Geschäft macht. Denn was man auch von der Unzulänglichkeit des Übersetzens sagen mag, so ist und bleibt es doch eines der wichtigsten und würdigsten Geschäfte in dem allgemeinen Weltverkehr.“
(Johann Wolfgang von Goethe, Brief an Thomas Carlyle, 1827)