Frankfurter Buchmesse 2023: „KI kennt keinen Stinkefinger“

Künstliche Intelligenz erfährt dieses Jahr einen beispiellosen Hype. Kein Wunder also, dass sie auch auf der Frankfurter Buchmesse ein Riesenthema ist. Die gute Nachricht: KI wird immer skeptischer gesehen.

Die Berliner Zeitung berichtet in ihrem Beitrag Frankfurter Buchmesse: Lesen verlernen mit der Digitalisierung über mehrere kritische Veranstaltungen zu KI – darunter auch eine, bei der ich selbst mitwirken konnte.

Bei diesem Event („Gläsernes Übersetzen“) des Verbands der Literaturübersetzer*innen (VdÜ) in Kooperation mit der Weltlesebühne hatte ich die Gelegenheit, unter Nutzung eines bekannten KI-Übersetzungstools einmal live zu zeigen, wie schlecht die Qualität KI-generierter literarischer Übersetzungen tatsächlich ist.

Im allgemeinen Hype wird ja vielfach behauptet, KI liefere gute Übersetzungen und das spare Zeit und Geld; ein KI-System brüstet sich sogar mit dem Werbeslogan „Der präziseste Übersetzer der Welt“. In den von mir präsentierten Textbeispielen lagen die KI-generierten Übersetzungen allerdings bei nahezu jedem Satz präzise daneben.

Im Bericht der Berliner Zeitung heißt es:

„Nur wer gründlich liest, bildet eigene Gedanken und die Künstliche Intelligenz übersetzt nie den Subtext mit. (…) Vor allem in den Gesprächsrunden von Verlagsleuten geht es auf dieser Buchmesse um die Möglichkeiten und Grenzen der Künstlichen Intelligenz. Im Veranstaltungsforum des Verbandes deutschsprachiger Übersetzerinnen und Übersetzer ging Heike Reissig am Donnerstagmorgen mit Textbeispielen ins Detail. Sie hat sich in den Wettstreit mit dem bereits hoch entwickelten Online-Tool DeepL begeben. Heißt es im Original ‚Britney’s mom flips a finger‘, sagt die KI: ‚Britneys Mutter schnippt mit dem Finger.‘ Reissig wählt fürs Deutsche, passend zur Tonart des gesamten Textes: ‚Britneys Mom zeigt den Stinkefinger.‘

Es sei nicht einmal eine Zeitersparnis, einen Text den Algorithmen zu übergeben. Die sprachliche Nacharbeit sei aufwendiger, als von vornherein mit dem eigenen Wissen zu arbeiten. ‚Die Maschine versteht die Metaebene und den sozialen Kontext nicht‘, sagt die Übersetzerin aus Fleisch und Blut. Doch wie kann man die Entwicklung stoppen? Laut Reissig lassen zunehmend Autoren in ihren Verträgen festhalten, dass ihre Texte nicht mit einer KI übersetzt werden dürfen. Hinzu komme die Frage nach dem Urheberrecht: Eine Erzählung bei Google, DeepL oder ChatGBT einzustellen, um sie in einer anderen Sprache lesen zu können, bedeute eine elektronische Vervielfältigung – ist also eigentlich nicht erlaubt. Auch hier geht es also wenigstens um die Verlangsamung längst praktizierter Prozesse.“

Verlangsamung ist vielleicht nicht das richtige Wort. Eigentlich geht es um eine möglichst rasche Regulierung generativer KI.

Werbeslogans wie „Präzisester Übersetzer der Welt“ sind übrigens nicht nur eine Frechheit, sondern auch irreführend. Nicht einmal der Wortlaut „präzisester KI-Übersetzer“ entspräche den Tatsachen. Bei einfachen Sätzen mag das Ergebnis präzise sein, doch bei komplexen Texten mit hohem Schwierigkeitsgrad kann Künstliche Intelligenz mit menschlichen Übersetzer*innen nicht mithalten. Wie soll sie auch? Sie funktioniert rein mathematisch, wandelt Wörter in Zahlen um, analysiert Daten und führt Wahrscheinlichkeitsrechnungen durch, um eine möglichst passende Übersetzung zu liefern – all das jedoch, ohne den Text tatsächlich zu verstehen, geschweige denn wahrzunehmen, was zwischen den Zeilen steht.