Stephanie Butland: Die Frau auf dem Foto

© Droemer Knaur
Stephanie Butland, © Elliott Franks
© Zaffre Books

Buchtitel:
„Die Frau auf dem Foto“ von Stephanie Butland.
Übersetzt aus dem Englischen von Heike Reissig.
Erschienen am 01.04.2021 bei Droemer Knaur.
Originaltitel: „The Woman in the Photograph“, erschienen bei Bonnier Zaffre.

Worum geht’s?

Frauen-Freundschaft, Feminismus und die besondere Kraft der Fotografie:
Einfühlsam und mitreißend erzählt Stephanie Butland die Geschichte von drei ungewöhnlichen Frauen von 1968 bis heute

Jedes Foto birgt ein Leben – niemand weiß das besser als die ehemalige Star-Fotografin Veronica Moon, deren Karriere vor vielen Jahren ein jähes Ende nahm. Eine Ausstellung über ihr Lebenswerk wird für sie zu einer unfreiwilligen Reise in die Vergangenheit: vom London der Swinging Sixties, als sie in der Feministin Leonie Barratt eine Freundin fürs Leben findet, bis zu Leonies tragischem Tod, über den Veronica bis heute schweigt. Die Ausstellung wird ausgerechnet von Leonies Nichte Erica organisiert, die mit ihren Fragen alte Wunden bei Veronica aufreißt. Ist für sie nun die Zeit gekommen, ihr Schweigen zu brechen und die Vergangenheit loszulassen?

»Die Frau auf dem Foto« porträtiert drei ganz unterschiedliche Frauen und eine innige Freundschaft, die mehr als einmal auf die Probe gestellt wird. Ganz nebenbei ist Stephanie Butlands Roman auch eine Geschichte des Feminismus – und eine Hommage an die besondere Kraft der Fotografie.

Stimmen:

»Dieses Buch ist brillant recherchiert, regt zum Nachdenken an und berührt das Herz. Ohne Zweifel Stephanie Butlands bester Roman bisher.« Lancashire Evening Post

»Eine faszinierende Geschichte über die Kraft von Frauenfreundschaften und die Entwicklung des Feminismus von den 1960ern bis heute, die zum Nachdenken anregt. (…) Die Frauenbewegung hat in den vergangenen fünfzig Jahren zahlreiche Fortschritte gemacht, doch Butlands Roman macht auch deutlich, dass der Kampf um Gleichberechtigung noch lange nicht vorbei ist. (…) Die Lektüre hat mich dazu gebracht, darüber nachzudenken, wie sich die Dinge von der zweiten Welle der Frauenbewegung in den 1960er Jahren bis zur heutigen #MeToo-Bewegung verändert haben, und meine eigenen Überzeugungen darüber zu hinterfragen, wie weit wir gekommen sind. « NB Magazine

Leseprobe:
Der Anblick des Fotos würde ein Schock sein.
So wie immer. Obwohl sie es selbst aufgenommen hatte.
Veronica lehnte sich an die Wand gegenüber des Galerieeingangs und wappnete sich innerlich. Dann richtete sie ihren Blick auf das Plakat. Die schnörkellose Schrift verkündete: „Die Macht der Frauen: Veronica Moon und die zweite Welle des Feminismus. 26. April – 26. August 2018.“ Nur noch zwei Tage. Vee starrte die Wörter an, bis sie keinen Sinn mehr ergaben, dann gab sie sich einen Ruck und schaute auf das Bild. Und als sie es betrachtete, an diesem öffentlichen Ort, mit Radfahrern, die durch ihr Blickfeld schwirrten, mit dem Londoner Verkehrslärm im Hintergrund, war ihr auf einmal, als sei sie bereits halb von dieser Welt verschwunden.
Die Gefühle waren immer die gleichen geblieben, obwohl die Erinnerung längst verloren war. Liebe, Trauer, Schmerz und weißglühende, lodernde Wut darüber, was ihr damals alles genommen worden war, als sie auf den Auslöser drückte und der Verschluss auf und zu ging, schneller als ein Wimpernschlag beim Abschiedsblick. Selbst nach all der Zeit konnte sie die Wucht dieser Gefühle noch immer spüren.
Leonie, die Frau, die sie mehr als jeden anderen Menschen im Laufe ihrer siebzig Lebensjahre geliebt hatte, blickte ihr finster entgegen. Ihre dichten Augenbrauen, die halb geschlossenen Augen, die stolze Adlernase bildeten ein stimmiges Ganzes, das nun auf Plakatformat vergrößert worden war. Leonie hatte stets gewusst, dass sie mehr Raum verdiente, als die Welt ihr zugestehen wollte. Jetzt, dreißig Jahre später, sah die Schwarz-Weiß-Aufnahme zeitlos aus, der Trend zu knalligen Farben war inzwischen wieder abgeklungen.
Wenn sie sich bemühte, brachte Vee es sogar fertig, dieses Foto zu bewundern. Ihr ganzes Können steckte darin: die Art, mit dem Licht umzugehen, den Winkel zu wählen und ein Porträt zu erschaffen, das einerseits größer als Leonie war und zugleich den Kern ihres Wesens offenbarte. Aber sie hatte gute Gründe, sich nicht allzu sehr in das Bild zu vertiefen. Es dokumentierte den Moment, in dem sie die zwei größten Verluste ihres Lebens erlitten hatte.
Selbst jetzt, wo sie sich allem stellen und Frieden schließen sollte, wo ihre Augen so viel wie möglich aufsaugen sollten, bevor es zu spät war, ertrug sie es nicht, das Bild lange anzuschauen.
Ob es ihr gefiel oder nicht, die Welt würde sich wegen dieses Fotos an sie erinnern. Wäre sie eine Kriegsfotografin gewesen, hätte man sie damals gefeiert. Erst recht, wenn sie ein Mann gewesen wäre. Unerschrocken, hätte man von ihr gesagt. Kühn. Kompromisslos. Doch da Veronica Moon eine Frau war, hatte es geheißen, sie sei herzlos. Gefühllos. Egoistisch. Vom Ehrgeiz zerfressen. Karriere aus und vorbei.