Bianca Marais: Wie man Gott zum Lachen bringt

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© Bianca Marais
© G.P. Putnam’s Sons

Buchtitel:
„Wie man Gott zum Lachen bringt“ von Bianca Marais.
Übersetzt aus dem Englischen von Heike Reissig und Stefanie Schäfer.
Erschienen am 11.11.2019 bei Wunderraum Verlag.
Originaltitel: „If You Want to Make God Laugh“, erschienen bei G.P. Putnam’s Sons.

Worum geht’s?
Am 10. Mai 1994 bricht mit Nelson Mandelas Antrittsrede eine neue Zeitrechnung für Südafrika an. Am selben Tag wird auf einer Farm in einer Weißensiedlung bei Magaliesburg ein schwarzes Neugeborenes gefunden. Die beiden Schwestern Ruth und Delilah nehmen den Säugling bei sich auf und erleben, wie über Generationen verfestigte Ansichten über Rasse und Identität ins Wanken geraten. Doch sie müssen sich auch gegen den militanten Rassismus ihrer Nachbarn zur Wehr setzen. Währenddessen macht sich nicht weit von Magaliesburg entfernt die siebzehnjährige Zodwa auf die Suche nach ihrem Baby, das am Tag seiner Geburt spurlos verschwand …

Pressestimmen:
»Marais’s lovely sophomore novel follows three women who connect in surprising ways in a newly post-apartheid South Africa. […] Marais once again showcases her talent for pulling beauty from the pain of South African history with a strong story and wonderfully imperfect characters.« Publishers Weekly

Leseprobe:

27. Mai 1994
Krugersdorp Leichenhaus, Südafrika

Zodwa hat bereits zwei Stunden in der Schlange vor dem Leichenhaus gestanden, als sie endlich aufgerufen wird. Sie war schon bei zwei anderen Leichenhäusern und einer Trauerhalle in der Umgebung von Magaliesburg, aber nirgendwo konnte man ihr weiterhelfen. Alle Verstorbenen aus der Umgebung, deren Angehörige man nicht ausfindig machen könne, würden dorthin gebracht, hatte man ihr gesagt. Als warteten die Toten darauf, dass ihre Verwandten sie holen und zur Ruhe betten. Was für ein deprimierender Gedanke,
Zodwa hat sich das Geld für das Taxi von der Township nach Krugersdorp von Mama Beauty geliehen, ihr aber verschwiegen, wofür sie es braucht. Zwar auch dafür, sich etwas zu essen zu kaufen, aber das hier ist wichtiger als Nahrung.
Die Frau, die sie empfängt, ist weiß und sieht eigentlich zu alt aus, um noch arbeiten zu müssen. Sie mustert Zodwa durch dicke Brillengläser.
„Ich möchte mich nach einem Kind erkundigen, das gestorben ist. Ich wüsste gerne, ob er hierher gebracht wurde“, erklärt Zodwa.
„Ein Junge?“
„Ja.“
„An welchem Tag genau ist er gestorben, und wie alt war er?“ Die Frau hat ein Formblatt herausgezogen und füllt es aus, während Zodwa antwortet.
„Entweder am 10. oder am 11. Mai, kurz nach seiner Geburt. Er wäre ein oder zwei Tage alt gewesen.“
„Hatte er irgendwelche besonderen Merkmale?“
„Ja, ein Muttermal in der Form von Afrika auf seiner linken Pobacke.“
„Und wo wurde die Leiche hingebracht?“
Die Leiche. Als wäre es ein Sack Steine oder irgendetwas anderes Lebloses, Wertloses. Zodwa hasst die Frau plötzlich wegen ihrer Objektivität, obwohl sie sie zugleich darum beneidet. Wie wunderbar es sein muss, ständig diesem Leid ausgesetzt zu sein und sich dennoch geschützt zu fühlen in dem Wissen, dass es nicht das eigene ist.
Sie beißt die Zähne zusammen. „Ich weiß es nicht.“
Die Frau hört auf zu schreiben und blickt auf. „Sie wissen nicht, was mit der Leiche geschehen ist?“
„Mit meinem Baby“, entgegnet Zodwa. „Nicht mit der Leiche. Mit meinem Baby.“ Die Frau blinzelt und Zodwa redet weiter, aus Angst, man könne sie wegen ihrer Unverschämtheit hinauswerfen. „Bitte, Madam. Ich weiß nicht einmal, ob mein Sohn wirklich gestorben ist. Nach der Geburt hat er gelebt, und dann …“ Zodwa hält inne, da sie nichts Böses über Leleti sagen möchte, nicht einmal jetzt, nach ihrem Tod. Aber sie muss ihre Zwangslage ja irgendwie erklären. „Er wurde mir weggenommen, und ich habe ihn nie wiedergesehen. Man hat mir gesagt, er wäre gestorben.“
Die Frau seufzt. „Aber Sie wissen nicht, wo er hingebracht wurde, oder ob er wirklich … verstorben ist?“
„Nein.“
„Können Sie nicht die Person fragen, die ihn genommen hat?“
Zodwa schüttelt den Kopf, und zu ihrer Überraschung kommen ihr die Tränen. „Sie ist auch gestorben.“
Zu ihrer Verwunderung schnalzt die Frau mitleidig mit der Zunge und legt den Stift hin. Sie nimmt Zodwas Hand und drückt sie mitfühlend. Die Geste lässt Zodwa beinahe zusammenbrechen. „Ach, mein armes Kind. Es tut mir sehr leid, dass Sie das durchmachen müssen.“
Zodwa hätte nie erwartet, hier Trost zu finden, ausgerechnet an diesem Ort, ausgerechnet bei dieser Frau. Sie nickt stumm.
„Ich schaue mal in unseren Akten nach“, sagt die Frau. „Aber ich kann mich nicht daran erinnern, dass damals ein Neugeborenes gebracht wurde. An die Babys erinnere ich mich, wissen Sie.“
Und plötzlich begreift Zodwa, dass das, was sie für Gefühllosigkeit gehalten hat, der Schutzmechanismus dieser Frau ist, um nicht von Emotionen überwältigt zu werden.
„Ich schau mal eben nach.“ Die Frau lässt Zodwa zehn Minuten allein, und als sie zurückkehrt, schüttelt sie den Kopf. „Wir hatten ältere Babys, aber keinen neugeborenen Jungen. Haben Sie denn schon in den Waisenhäusern rings um das Squatter Camp nachgefragt?“
„Nein.“
„Manchmal werden Babys dorthin gebracht, oder sie werden ausgesetzt und enden dann dort. Einen Versuch ist es wert.“
Zodwa schließt die Augen und spürt einen Funken Hoffnung.
Ist es möglich, dass Leleti ihr Baby dorthin gebracht hat? Dass sie ihr das Baby wegnahm, weil sie glaubte, ihr Enkel hätte eine bessere Chance im Leben, wenn er von Fremden anstatt von Zodwa großgezogen würde?
Ich habe ihn genommen … Er ist weg … Ich habe es für dich und für ihn getan.