Tessa Bickers: Wir treffen uns im nächsten Kapitel

© Verlagsgruppe Droemer Knaur
Tessa Bickers, © Veronica Melkonian
© Harper Collins Publishers

Buchtitel:
„Wir treffen uns im nächsten Kapitel“ von Tessa Bickers.
Übersetzt aus dem Englischen von Heike Reissig.
Erschienen am 01.08.2024 bei Droemer Knaur.
Originaltitel: „The Book Swap“, erschienen bei Graydon House / Harper Collins Publishers.

Worum geht’s?
Zwei Menschen, die Bücher lieben. Zwei gebrochene Herzen. Ein neues Kapitel?
Erin ist dreißig und genervt von ihrem Job. Beim Ausmisten landet versehentlich eins ihrer Lieblingsbücher in einem von Londons öffentlichen Bücherschränken. Als sie es sich zurückholt, entdeckt sie, dass jemand auf ihre Randnotizen geantwortet hat. Der geheimnisvolle Fremde lädt sie ein, sich auf den Seitenrändern in Große Erwartungen von Charles Dickens zu treffen. Zum ersten Mal seit dem Tod ihrer besten Freundin beginnt Erin sich zu öffnen.
James ist ebenfalls dreißig und eigentlich ganz happy mit seinem Leben, wäre da nicht seine psychisch kranke Mutter, um die er sich immer wieder kümmern muss. Zufällig entdeckt er in einem öffentlichen Bücherschrank eine Ausgabe von Wer die Nachtigall stört. Die auf den Seitenrändern notierten Gedanken, die von einer unbekannten Frau stammen, berühren ihn so sehr, dass er darauf antwortet und das Buch zurück ins Regal stellt – der Beginn eines faszinierenden Büchertauschs. Zum ersten Mal, seit er seine große Jugendliebe verloren hat, beginnt James sich zu öffnen.
Was aber wird passieren, wenn Erin und James herausfinden, dass sie einander keineswegs Fremde sind?
„Mit Klassikern der Literatur die große Liebe finden – der vielleicht schönste humorvolle Liebesroman seit PS Ich liebe Dich“ (Verlagsinfo)

Rezensionen
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Leseprobe
Als ich durch die Scheibe sehe, landet mein Blick auf einem Buchrücken, und mein Herz macht einen Riesensprung. Der Buchrücken ist schwarz-weiß und steht genau in der Mitte, als hätte er nur auf mich gewartet.
Ich reiße die Tür auf und greife mit zitternden Händen nach dem Buch. Wer die Nachtigall stört. Meine Schulausgabe mit den gelben Seiten, die ersten paar mit Tesafilm festgeklebt, weil sie sich durch mein emsiges Blättern gelöst hatten. Die Rückseite des Titelblatts ist mit meinen handschriftlichen Notizen übersät, Themen und Figuren mit dazugehörigen Seitenangaben, das Buch mit selbstgebastelten Klebestreifen bestückt, zur Markierung der wichtigsten Stellen. Ich wage kaum zu hoffen, dass Bonnies Karte noch in dem Buch steckt, aber ich blättere es trotzdem durch – und dann steigen mir Tränen in die Augen, denn dort steckt sie, mitten im Buch, zwischen all den Seiten, die ich damals in der Schule mit Notizen vollgekritzelt habe.
Danke, danke, danke.
Wenn mich jetzt jemand sehen könnte, würde er sich bestimmt fragen, was los ist. Eine Frau in schäbigen Klamotten sinkt am öffentlichen Bücherschrank auf die Knie, eine Postkarte an die Brust gedrückt, und heult hemmungslos. Aber das ist mir egal. Sie ist zu mir zurückgekehrt. Bonnie ist wieder bei mir.
Als ich mir über die Augen wische und auf die Buchseiten schaue, zwischen denen die Karte gelegen hat, bemerke ich unter meinem schwarzen Gekritzel ein paar Worte in roter Schrift. Die Zeile, in der steht, dass es Sünde ist, auf eine Nachtigall zu schießen, hatte ich unterstrichen und daneben mit schwarzem Kugelschreiber geschrieben: Die Schwachen schützen – aus diesem Grund will Atticus Tom verteidigen.
Darunter hat jemand in ordentlichen Druckbuchstaben geschrieben: Welche Tat ist schlimmer – ein Buch vollzukritzeln oder eine Nachtigall zu erschießen?
Ich erstarre, lasse den Blick mehrmals über beide Sätze gleiten. Es kommt mir fast vor, als wollte die Person sich über mich lustig machen oder mich zurechtweisen. So ein Quatsch. Ich muss lachen.
Als ich weiterblättere, muss ich schlucken. Denn überall entdecke ich diese rote Schrift zwischen meinen schwarzen Notizen, die nur für mich gedacht waren. Ich bin zutiefst dankbar dafür, dass jemand mein Buch zusammen mit der Postkarte zurückgebracht hat, und deswegen kann ich dieser Person auch nicht böse sein, aber ich fühle mich bloßgestellt. Neben eine Zeile, die von Atticus handelt, hatte ich damals Absoluter Traummann geschrieben, um mich an den Moment zu erinnern, als ich mich in ihn verknallte. Die unbekannte Person hat meine Notiz offenbar gelesen, denn sie hat Folgendes daruntergeschrieben:
Wir sind uns einig, dass Atticus die beste Vaterfigur ist, die es in einem Roman je gegeben hat, oder? Sollte ich jemals Vater werden, nehme ich ihn mir zum Vorbild.
Aha. Die unbekannte Person ist also ein Mann. Mystery Man.
Er stellt meine Notizen infrage. Lacht über meine Beobachtungen, kommentiert sie mit einem LOL – stimmt! oder einem Ha! Das gefällt mir. Weiter hinten schreibt er Folgendes:
Erst durch deinen Kommentar ist mir klar geworden, wie stark diese Zeile über Mut ist.
Hat mich total inspiriert. Danke.

Als ich das lese, werde ich rot. Zum ersten Mal seit Tagen kann ich wieder einen Erfolg vermelden, konnte jemandem etwas über dieses Buch beibringen, das mir so am Herzen liegt. Doch er hat das Gleiche getan. Seine Anmerkung Ist das traurig oder irgendwie auch schön? kurz vor Schluss lässt mich diese Stelle aus einer ganz neuen – und auch positiveren – Perspektive sehen.
Kopfschüttelnd schlage ich die letzte Seite auf, um Bonnies Postkarte zurückzulegen. Unter dem Wort „Ende“ steht: Treffen wir uns in Große Erwartungen?
Irgendwo hinter mir kreischt ein Kind, das auf einem Tretroller durch den Tunnel saust. Ich lese den Satz noch einmal und muss grinsen. Bedeutet er, was ich vermute? Ich fange an, die Regale nach Große Erwartungen abzusuchen. Könnte ich recht haben? Hat er das Buch dagelassen? Keine Ahnung, wer dieser Mann ist, aber jetzt bin ich neugierig. Er hat mich zum ersten Mal in dieser Woche und seit langer Zeit zum Lachen gebracht. Und wenn ich Große Erwartungen noch einmal aus seiner Sicht lese, wäre das vielleicht so, als läse ich es zum ersten Mal.
Mein Blick landet auf einem cremefarbenen Buchrücken mit dem Wort „DICKENS“ in Großbuchstaben. Da ist das Buch, es wartet auf mich wie ein Geschenk zu meinem Geburtstag. Ich ziehe es heraus und schlage wahllos eine Seite auf. Da ist eine rot umkreiste Zeile, in der steht, das Leben sei aus lauter zusammengeschweißten Trennungen gemacht. Das muss ein Zeichen sein. Wer auch immer dieser Mann ist, er versteht genau, an welcher Stelle meines Lebens ich mich gerade befinde. Ich trauere über die Trennungen und fürchte mich vor der Zukunft. Der Raum daneben scheint nur darauf zu warten, dass ich eine Antwort schreibe.