Stephanie Butland: Fünfzehn Arten eines Wunders

© Droemer Knaur
Stephanie Butland, © Elliott Franks
© Zaffre Books

Buchtitel:
„Fünfzehn Arten eines Wunders“ von Stephanie Butland.
Übersetzt aus dem Englischen von Heike Reissig.
Erschienen am 03.02.2020 bei Droemer Knaur.
Originaltitel: „The Curious Heart of Ailsa Rae“, erschienen bei Bonnier Zaffre.

Worum geht’s?
Seit ihrer Geburt leidet die 27-jährige Ailsa an einer Herzkrankheit, an der sie beinahe gestorben wäre. Gerade noch rechtzeitig hat sie nun ein Spenderherz erhalten. Eigentlich wäre es also höchste Zeit, sich endlich kopfüber in dieses Abenteuer namens Leben zu stürzen – doch Ailsa weiß einfach nicht, wie. Wie entscheidet man, welchen Beruf man ergreifen will? Oder auch nur, welches neue Hobby?
Jetzt, wo es um so viel mehr geht als nur um den nächsten Tag, hat Ailsa vor allem eines: Angst. Also lässt sie die Follower des Blogs, den sie im Krankenhaus geführt hat, die Entscheidungen für sie treffen. Dabei ist Ailsas neues Herz nicht nur stark, es ist auch mutig. Sie müsste ihm einfach nur zuhören. Denn da draußen wartet jemand darauf, dass Ailsa den Mut findet, ihr neues Herz zu verschenken …

Stimmen:
»Ich liebe diesen Roman – er ist bewegend, witzig und romantisch. Er hat mich von Anfang bis Ende in seinen Bann gezogen […] Einfach nicht wegzulegen!« Katie Fforde

Leseprobe:
Es ist drei Uhr morgens, hier auf der Herz-Thorax-Station.
Momentan kann ich nur dösen, grübeln und wieder dösen. Mein Herz wird immer schwächer, mein Körper immer blauer. Leute, die ich lange nicht gesehen habe, schauen plötzlich vorbei. (Schön, euch zu sehen, Emily, Jacob, Christa! Bald trinken wir wieder Martinis!) Wir tun alle so, als käme ein Abschied nicht infrage. So scheint es am leichtesten. Aber wenn meine Mutter glaubt, dass ich schlafe, weint sie. Vielleicht ist es doch an der Zeit, mir einzugestehen, dass ich mit hoher Wahrscheinlichkeit bald das Zeitliche segne.
Ich sollte dankbar sein. Wäre ich ein paar Jahre früher zur Welt gekommen, hätte ich als Baby mit Hypoplastischem Linksherz-Syndrom nur wenige Tage überlebt. Doch inzwischen bin ich achtundzwanzig Jahre alt, und die meiste Zeit war ich sogar bei vollem Bewusstsein. (Ich hatte viel mehr OPs als Normalsterbliche wie ihr und entsprechend viele Narkosen. Da könnt ihr nicht mithalten, ha!) Okay, ich wohne noch immer bei meiner Mutter, war noch nie arbeiten und laufe ständig blau an, weil mein Körper nicht genug Sauerstoff bekommt. Aber …
Nein. Kein aber. Falls ihr heute Abend damit gerechnet habt, dass BlueHeart im Angesicht der Katastrophe ihre üblichen Witzchen reißt, müsst ihr euch leider eine andere Bloggerin suchen.
Mein Herz wird bald versagen. Ich kann geradezu spüren, wie es in meiner Brust zittert. Manchmal warte ich nervös, ob es noch einmal schlägt. Seit vier Monaten bin ich fast nonstop in der Klinik, weil es zu Hause nicht mehr geht. Ich hänge an einem Tropf, der Elektrolyte in mein Blut pumpt, und ich habe einen Sauerstoffschlauch im Gesicht. Ich werde rund um die Uhr von Leuten versorgt, die versuchen, mich soweit stabil zu halten, dass mir ein Herz transplantiert werden kann, falls eines auftaucht. Ich achte auf jedes Zucken, selbst auf das kleinste Anzeichen von Schmerz oder Erschöpfung in meinem Körper, weil es bedeuten könnte, dass sich die Lage verschlimmert. Ja, ich lebe, und ja, es gibt noch immer die Hoffnung, dass ich gerettet werden könnte, aber heute Abend fällt es mir sehr schwer, daran zu glauben. Denn die Wahrscheinlichkeit ist wirklich gering. Und ich weiß nicht, ob ich noch genug Energie habe, weiter zu warten.
Vielleicht sollte ich wütender sein, aber für Wut ist heute Abend kein Platz (ihr wisst ja, ich habe nur eine Herzkammer). Ich habe Angst.
Es ist nur eine Frage der Zeit, bis ich zu schwach sein werde, um eine Transplantation zu überleben und kein Herz mehr bekommen darf, weil es nicht verschwendet werden soll. Jemand, der etwas fitter ist als ich und mehr davon hätte, wird mich von meinem Spitzenplatz auf der Liste verdrängen, und ich werde auf die Palliativstation verlegt. (Sie ist gut und hat ein Super-Team, aber ich will nicht dahin. Vielleicht, wenn ich achtundneunzig bin. Oder achtundvierzig. Aber doch nicht mit achtundzwanzig.)
Vielleicht kehrt mein Optimismus ja zurück, wenn die Sonne aufgeht. Wir sind hier allerdings in Edinburgh, und es ist Oktober. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Sonne aufgeht, ist also ungefähr so groß wie die Chance, dass ich ein neues Herz bekomme.
Meine Mutter redet nicht über Wahrscheinlichkeiten. Sie sagt: „Wir brauchen bloß das passende Herz. Das ist alles.“ So, wie sie es sagt, klingt es, als wollte sie es dem erstbesten Fremden, der ihr draußen über den Weg läuft, persönlich aus der Brust reißen. Irgendwie ist es auch unpassend, von Wahrscheinlichkeiten zu sprechen, denn selbst wenn meine Überlebenschance bei, sagen wir, zwanzig Prozent liegt, wird das, was mit mir passiert, ja zu hundert Prozent passieren. Mit anderen Worten: Nächste Woche um diese Zeit bin ich vielleicht zu hundert Prozent tot.
Gute Nacht.
BlueHeart xxx