Yangsze Choo: Schattenbraut

© Penguin Random House
Yangsze Choo, © James Cham
© Harper Collins

Buchtitel:
„Schattenbraut“ von Yangsze Choo.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Heike Reissig und Stefanie Schäfer.
Erscheint am 21.09.2022 bei Goldmann.
Originaltitel: „The Ghost Bride“, erschienen 2013 bei Harper Collins US.

Herzlichen Dank an den Deutschen Übersetzerfonds für die Auszeichnung dieser Übersetzung mit einem Arbeitsstipendium.

Worum geht’s?
Malaya 1893. Die 17-jährige Li Lan aus gutem, aber verarmten Hause erhält einen ungewöhnlichen Antrag: Sie soll den kürzlich verstorbenen Sohn der wohlhabenden Familie Lim heiraten. Aber Li Lan zögert. Kann sie sich wirklich einem Geist versprechen? Um sich auf die Probe zu stellen, taucht sie Nacht für Nacht ein in eine Welt, in der die Grenzen zwischen Realität und Traum verschwimmen. Das Schattenreich ist ein Ort des Schreckens, aber auch der Versuchung und der Freude. Dort deckt Li Lan nicht nur die Wahrheit über ihre eigene Familie und die ihres Verlobten auf – sie erkennt auch die Macht wahrer Liebe …
Das fesselnde Romandebüt von Yangsze Choo („Nachttiger“).

Pressestimmen:
»Choo’s clear and charming style creates an alternate reality where the stakes are just as high as in the real world, combining grounded period storytelling with the supernatural.« Publishers Weekly

»The Ghost Bride begins as a historical novel but takes an unexpected turn into a fantastical, ghost-and-murder mystery. What makes all this work is the sumptuous world of Chinese émigré culture and the love story that flows under it all—the kind so full of longing, the pages practically sigh as you turn each one.« Oprah.com’s Book of the Week

»…from whodunit to ghost story to coming-of-age to romance, there is enough plot to fill several more novels. But the beguiling tale of Li Lan navigating both the land of the dead and the territory of her own heart makes you hope Choo is the author who writes all of them.« USA Today

»‘The Ghost Bride’, an impressive first novel, takes readers on one of the wildest rides since Alice fell down the rabbit hole.« San Jose Mercury News

»This first foray into novel writing was worth the wait—The Ghost Bride is a sublime and mysterious page-turner, full of intrigue and the complications of life on earth and beyond.« Kirkus feature

»Choo’s fascinating debut (…) rich in Chinese folklore, mores and the supernatural…intriguing and enlightening. A haunting debut.« Kirkus Reviews

»Choo’s remarkably strong and arresting first novel…is sure to garner much well-deserved attention.« Booklist

Leseprobe:
Eines Abends fragte mich mein Vater, ob ich die Braut eines Geistes werden wolle. »Fragte« ist vielleicht nicht das richtige Wort. Wir waren in seinem Arbeitszimmer. Ich blätterte eine Zeitung durch, während er auf seiner Rattanliege lag. Es war sehr heiß und still. Die Öllampe brannte, und Motten flatterten in trägen Wirbeln durch die schwüle Luft.
»Was hast du gerade gesagt?«
Mein Vater rauchte Opium. Es war seine erste Pfeife an jenem Abend, er konnte also noch halbwegs klar denken. Mein Vater ist so eine Art Gelehrter, mit traurigen Augen in einem Gesicht wie ein zerfurchter Aprikosenkern. Früher einmal ist unsere Familie reich gewesen, doch mit der Zeit hatten wir so viel Geld verloren, dass wir uns nur noch mühsam an die Ehrbarkeit der Mittelschicht klammerten.
»Dass du Geisterbraut werden könntest, Li Lan.«
Ich hielt den Atem an und blätterte weiter. Es war schwer zu sagen, ob mein Vater nur scherzte. Manchmal schien er es selbst nicht zu wissen. Ernste Angelegenheiten wie unsere schrumpfenden Einkünfte spielte er für gewöhnlich herunter. So sagte er zum Beispiel, es sei doch ganz angenehm, in dieser Hitze ein zerschlissenes Hemd zu tragen. Doch wenn das Opium ihn in seinen Nebelschleier hüllte, verstummte er und versank in Gedanken.
»Der Vorschlag wurde heute an mich herangetragen«, fügte er rasch hinzu. »Ich dachte, du wüsstest vielleicht gern Bescheid.«
»Von wem kam der Vorschlag?«
»Von der Familie Lim.«
Die Familie Lim war eine der reichsten in unserer Stadt. Malakka hatte einen Hafen und zählte zu den ältesten Handelsmetropolen des Ostens. Im Laufe der Jahrhunderte war die Stadt erst von den Portugiesen, dann von den Niederländern und zuletzt von den Briten erobert worden. Kleine Häuser mit roten Ziegeldächern zogen sich dicht gedrängt in einer langen Kette die Bucht entlang, von Kokospalmenhainen flankiert und zum Inland hin durch den dichten Dschungel begrenzt, der Malaya wie ein wogendes grünes Meer bedeckte. Malakka war eine sehr stille Hafenstadt, die unter der Tropensonne von ihrer glanzvollen Vergangenheit als Perle der Meeresstraße träumte. Denn die aufkommende Dampfschifffahrt hatte ihren Niedergang besiegelt.
Im Vergleich zu den Dörfern des Dschungels galt Malakka jedoch nach wie vor als Inbegriff der Zivilisation. Die portugiesische Wehranlage hatten die Briten zwar zerstört, aber das Postamt, zwei Märkte und das Krankenhaus hatten sie uns gelassen, selbst unser Rathaus, das Stadthuys. Malakka war sogar Regionalsitz der britischen Kolonialverwaltung. Gemessen an dem, was ich über die großen Metropolen Shanghai, Kalkutta und London gelesen hatte, kam mir unsere Stadt dennoch reichlich unbedeutend vor. Im Bezirksamt hatte man der Schwester unseres Kochs erzählt, dass London der Mittelpunkt der Welt war; das Herz des Britischen Weltreichs, das sich so weit von Osten nach Westen erstreckte, dass die Sonne dort niemals unterging. London lag auf einer weit entfernten Insel (wo es angeblich sehr feucht und kalt war), und von dort aus wurden wir in Malaya regiert.
Obwohl seit Generationen Angehörige verschiedener Völker hier zusammenlebten – Malaien, Chinesen, Inder, auch Araber und Juden –, behielten wir unsere Kleidung und andere Bräuche bei. Mein Vater sprach zwar Malaiisch und auch ein wenig Englisch, las aber ausschließlich chinesische Bücher und Zeitungen. Dabei war es mein Großvater gewesen, der seine Heimat verlassen hatte, um in Malakka als Händler reich zu werden. Leider rann das Vermögen, das er gemacht hatte, meinem Vater durch die Finger. Wäre es anders gewesen, hätte er das Angebot der Lims wohl niemals in Betracht gezogen.