Wegen der Corona-Pandemie fand die Frankfurter Buchmesse dieses Jahr fast nur im Internet statt. Kein Networking. Was für eine deprimierende Vorstellung. Leere Messehallen, geisterhafte Digital-Veranstaltungen. Was tun? Das Beste draus machen. Zumindest brauchte ich diesmal nicht zum Friseur. Statt mich in Schale zu werfen, fläzte ich mich in Bademantel und Pantoffeln aufs Sofa und holte mir die Buchmesse nach Hause.
Mein persönliches Highlight war Chilly Gonzales‘ Vorstellung seines ersten Buches Enya: A Treatise on Unguilty Pleasures am 22.10.2020, präsentiert von ARTE. Chilly Gonzales war mir auf Anhieb sympathisch, denn er trug ebenfalls einen Bademantel und Pantoffeln. Endlich mal ein Künstler, dem man auf Augenhöhe begegnen konnte! Auf der Veranstaltung, die in englischer Sprache stattfand, las der kanadische Musiker und Grammy-Preisträger einen Auszug aus seinem literarischen Debüt und teilte anschließend einige interessante Gedanken zum Thema Geschmack, die ich hier einmal ins Deutsche übersetzt habe:
„Es könnte so einfach sein, über Geschmack zu reden. So einfach, als würde man über Bananen reden. Ich würde nie auf die Idee kommen, jemanden davon abzubringen, Bananen zu mögen, bloß weil ich selbst Bananen verabscheue. Kein Argument der Welt könnte uns dazu bringen, unsere Meinung über Bananen zu ändern. Doch genau das wird andauernd versucht, wenn es um Musik geht. Wenn ich jemandem sage, dass ich Kendrick Lamar nicht mag, versucht derjenige sofort, mir zu beweisen, dass ich im Unrecht bin. Ich finde es traurig, dass wir den Bezug zu unserem Kindheitsgeschmack verloren haben. Der Geschmack unserer Kindheit ist die reine Wahrheit. Entweder man mag etwas, oder man mag es nicht. Das hängt sicherlich damit zusammen, wie die eigene Kindheit war und wie wir aufgewachsen sind. Ich mag Stimmen wie die von Enya, weil ich sie beruhigend und mütterlich finde. Sie geben mir etwas, was mir in meiner Kindheit gefehlt hat. Doch sobald wir Teenager sind, wird unser Geschmack zu einem Akt der Selbstdefinition. Wir beschließen zum Beispiel, etwas nur deshalb zu mögen, weil wir uns von unserem großen Bruder abgrenzen wollen. Oder wir denken: Diese Kids sind cool, ich will dazugehören. Also lassen wir zu, dass unser Geschmack sozusagen korrumpiert wird. Und ich finde es schade, dass es diese zwei Arten von Geschmack gibt: den wahren Geschmack und den korrumpierten Geschmack. Dazwischen liegen die sogenannten Guilty Pleasures; Genüsse, für die wir uns schämen. Bei ihnen geraten die zwei Geschmäcker in Konflikt. Dann reden wir uns ein, dass wir etwas nicht mögen, weil unser Umfeld dagegen wäre – aber tief in unserem Innern meldet sich unser Kindheitsgeschmack und sagt: Doch, du magst das. Meiner Meinung nach sind Guilty Pleasures eine überflüssige Erfindung. Vergnügen bedeutet schließlich, dass man etwas genießen kann, ohne dass es einem peinlich ist.“
So sehe ich das auch. Anders als Chilly Gonzales mag ich Bananen jedoch. Die Lieblingsgruppe meiner Kindheit hieß Abba, deren Songs ich übrigens noch immer gern höre, wenn mir danach ist. Später verknallte ich mich dann in Sting und hörte Outlandos D’Amour von The Police rauf und runter; noch heute eins meiner absoluten Lieblingsalben. Beim Friseur lese ich gern Gala (auch wenn ich mir die Zeitschrift natürlich NIE kaufen würde). Außerdem liebe ich es, auf dem Sofa abzuhängen, TV zu glotzen und dabei Chips zu knabbern (inzwischen aber nur noch vegane). Und all das ist mir ab sofort nicht mehr peinlich. Das sind jetzt meine persönlichen Unguilty Pleasures, jawohl! Danke dafür, Chilly Gonzales.
Hier die Veranstaltung von arte in voller Länge: Chilly Gonzales & Malakoff Kowalski: Talking about taste
Enya: A Treatise on Unguilty Pleasures von Chilly Gonzales ist bei Rough Trade Books erschienen.
Die deutsche Fassung Chilly Gonzales über Enya (Übersetzung: Sophie Passmann) ist bei Kiepenheuer & Witsch erschienen.
Zum Schluss ganz viel Enya als Seelenbalsam.
Und Outlandos D’Amour von The Police zum Wiederentdecken. Viel Spaß!